Kurt Weill Zaubernacht
das Orchester Juni 2013
Eine Entrümpelungsaktion an der Yale University förderte im Jahr 2005 Erstaunliches ans Licht: In einem vergessenen Tresor entdeckten Bibliotheksangestellte einen Satz von Orchesterstimmen zur Zaubernacht von Kurt Weill, anhand derer die Original-Instrumentation des bis dahin nur im Klavierparticell überlieferten Werks rekonstruiert werden konnte. Mit der Musik zur Zaubernacht, einer Kinderpantomime nach einem Libretto des russischen Theatermachers Wladimir Boritsch, hatte der bis dahin unbekannte Kurt Weill im Jahr 1922 in Berlin erstmals öffentlich auf sich aufmerksam gemacht. Anhand des wiederaufgetauchten Notenmaterials konnte dieses Bühnenwerk 2010 im Rahmen des Stuttgarter Musikfests Wiederauferstehung feiern. Den Instrumentalpart gestaltete damals das von Solisten der NDR Radiophilharmonie gegründete Arte Ensemble, welches auch für die vorliegende Ersteinspielung von Weills Schauspielmusik in ihrer ursprünglichen Fassung auf CD verantwortlich zeichnet.
Was der neugierige Hörer vernimmt, ist sicher noch nicht jene Musiksprache, die er von der späteren Dreigroschenoper oder Weills Mahagonny im Ohr hat. Zur Geschichte der Zaubernacht, in der eine Spielzeugfee zu mitternächtlicher Stunde im Kinderzimmer eines Geschwisterpaares diverse Spielzeuge zum Leben erweckt, schuf Weill eine Musik, die noch weitgehend auf Standards des 19. Jahrhunderts zurückgreift: auf Walzer und Marsch, zu denen sich sogar eine historisierende Gavotte gesellt. Das anfangs von Ania Vegry angestimmte „Lied der Fee“ ist noch kein typischer Weill’scher „Song“, und lediglich mit einem Foxtrot, zu dem in der Pantomime ein Bär tanzt, ist bereits ein Modetanz US-amerikanischer Provenienz in der Partitur der Zaubernacht vertreten.
Dennoch meint man in dieser Musik schon den burschikos-leichten Ton des späteren Weill zu vernehmen. Die kammermusikalisch durchsichtige Besetzung mit solistischen Streichern, Flöte, Fagott, Klavier und Schlagzeug, ursprünglich Sparzwängen geschuldet, zeigt den Busoni-Schüler Weill bereits als ausgebufften Instrumentator, der mit den gegebenen Mitteln in raffinierten Kombinationen eine ungemeine Farbigkeit der Klänge erreicht. Durch sein wunderbares Einfühlungsvermögen bringt das Arte Ensemble Weills Partitur mit ihren permanenten Tempo- und Charakterwechseln wie ihrer geradezu gestischen Plastizität zum Klingen: durchsichtig und schwungvoll, gutgelaunt und pfiffig. Bei der wohl engen Anlehnung der Musik an die szenischen Ereignisse hätte man allerdings gerne aus dem Booklet genauere Bezüge zur Handlung erfahren.
Dennoch meint man in dieser Musik schon den burschikos-leichten Ton des späteren Weill zu vernehmen. Die kammermusikalisch durchsichtige Besetzung mit solistischen Streichern, Flöte, Fagott, Klavier und Schlagzeug, ursprünglich Sparzwängen geschuldet, zeigt den Busoni-Schüler Weill bereits als ausgebufften Instrumentator, der mit den gegebenen Mitteln in raffinierten Kombinationen eine ungemeine Farbigkeit der Klänge erreicht. Durch sein wunderbares Einfühlungsvermögen bringt das Arte Ensemble Weills Partitur mit ihren permanenten Tempo- und Charakterwechseln wie ihrer geradezu gestischen Plastizität zum Klingen: durchsichtig und schwungvoll, gutgelaunt und pfiffig. Bei der wohl engen Anlehnung der Musik an die szenischen Ereignisse hätte man allerdings gerne aus dem Booklet genauere Bezüge zur Handlung erfahren.
Wenn man dieser Zaubernacht-Musik lauscht, entdeckt man weiterhin, dass Kurt Weills Musik oft verblüffende Verwandtschaft mit derjenigen Gustav Mahlers zeigt, sei dies direkte Anlehnung oder gemeinsame Inspiration durch die jüdische Musiktradition. Für Ersteres spräche, dass Weills Musik der Mahler’schen in ihren Scherzo- oder Marsch-Abschnitten gelegentlich bis zum Zitat nahe kommt.
Gerhard Dietel
Fanfare
November 2013
Weill was 22, and one of five pupils admitted to Busoni’s master class under the auspices of the Prussian Academy of Arts, when he accepted his first commission, to provide music for a children’s pantomime, Zaubernacht. The scenario, woven around magic and enchantment (which Busoni considered the proper sphere of musical theater) drew from Weill an abundant and melodically generous response, whose 24 numbers strut an astounding compositional resourcefulness fraught with naiveté, charm, mystery, rumbustious high spirits, and infinite cunning. The surefire tunes, the “hit” numbers, of Die Dreigroschenoper and Happy End, though lurking just over the horizon, are in abeyance, and would, in any case, have been inappropriate for Zaubernacht—with one exception. During the winter of 1920–21, when Weill came to Berlin to begin his studies with Busoni, he jotted a suave foxtrot introducing a vocal send-up of an ad for Algi, a popular toiletry. Thanks to research and performance panache by the incomparable H. K. Gruber, with the Ensemble Modern, the Slow Fox and Algi-Song, with its insidiously memorable refrain, were drawn from obscurity to droll life in 1990 on the indispensable Largo 5114, which featured a number of other Weill rarities. The Algi-Song’s theme, with its ingratiating lilt, becomes a central motif in Zaubernacht, appearing in several beguiling guises. If Zaubernacht has not joined the Weill canon, it’s owing to its survival as a not quite complete piano score.
Prefacing the album’s booklet essay, a note puts the matter succinctly: “The present compact disc is the recording premiere of Kurt Weill’s Zaubernacht. The only previous recording of the work (released as a compact disc in 2002) used British arranger Meirion Bowen’s reconstruction of the score from a surviving piano sketch. In 2006 Weill’s original instrumentation unexpectedly resurfaced.” Notes by Elmar Juchem, who identified Weill’s newly discovered manuscript and saw it through the press, tell a gripping story which we’ll leave for your delectation, for, without a doubt, if you’ve read thus far you’ll want this. Weill aficionados who picked up the Bowen arrangement, with Celso Antunes leading the Ensemble Contrasts Köln (Capriccio 67011), can now make the particularly invidious comparisons this echt Weill production allows, marking the great gulf fixed between informed expertise and genius. Bowen’s arrangement, for which we once were grateful, fades into dull, would-be clever opacity in the radiance of Weill’s scintillant—often coruscating—aural sorcery. Nor is Weill’s instrumentation a series of clever audacities—though surprises and audacities abound—but looms as the inevitable realization of the musical material, which discloses an expressive piquancy rarely suggested chez Bowen. Thus, CPO’s curt assertion that this is the work’s “recording premiere” is entirely accurate, for one simply has not heard Zaubernacht until one has heard this. Where Antunes & the Contrasts band often seemed reticent or generic, the Arte Ensemble spirits up the music with compelling pizzazz. In the Fairy’s Song, the single vocal, after Ania Vegry’s bright, enticing soprano, Ingrid Schmithüsen’s for Antunes seems hooty and distressing. CPO’s aural spin is upfront, gutsy, and sparklingly detailed. Highest recommendation.
Adrian Corleonis
Klassik.com November 2013
Kurt Weills wiederentdeckte Musik zu einer Kinderpantomime gewährt einen Blick auf seine frühen Jahre. Die gelungene Ersteinspielung klingt idiomatisch und macht neugierig auf eine Bühnenaufführung.
Es gehört zu den glücklichen Umständen der Musikgeschichte, dass verschollen geglaubte Werke überraschend wieder auftauchen. So auch das Orchestermaterial zu Kurt Weills einaktiger und einstündiger Kinderpantomime 'Zaubernacht', die der 22-jährige Komponist am 18. November 1922 im Berliner Theater am Kurfürstendamm zur Uraufführung gebracht hatte.
Idee und Szenario dieses Kinderspektakels stammt vom russischen Theatermacher Wladimir Boritsch, der die Pantomime in einer ersten Fassung 1919 in Vilnius auf die Bühne gebracht hatte. Mit dem noch kaum bekannten, jungen Kurt Weill fand er 1922 in Berlin schließlich einen Komponisten, dessen musikalische Herangehensweise an das Stück er für gut befand. Weill, der bei Engelbert Humperdinck studiert hatte und seit Ende 1920 in Berlin einer der fünf Schüler Ferruccio Busonis war, schrieb eine durchgängige Musik, in der freilich einzelne Nummern wie Märsche, Walzer oder eine historisierende Gavotte auszumachen sind. Den beschränkten Aufführungsbedingungen geschuldet, instrumentierte er die Musik für ein neunköpfiges Ensemble mit ungewöhnlicher Besetzung (Klavier, Schlagwerk, fünf Streicher, Flöte und Fagott). Die Premiere war erfolgreich, die Kritiken positiv. Der Rezensent des Berliner Börsen-Couriers etwa lobte den Aufbau, die Farbigkeit und Belebtheit der Musik.
Mit Boritsch gelangten das Stimmenmaterial und die Partitur nach New York für Aufführungen, die dort 1925 unter dem Titel 'Magic Night' stattfanden, danach verlieren sich die Spuren. Weills Material verschwand vermutlich bei seiner Flucht aus Nazi-Deutschland. Übrig blieb eine autographe Klavierfassung, die Weill für die Berliner Proben angefertigt hatte sowie die für großes Orchester gesetzte 'Orchestersuite aus der Kinderpantomime Zaubernacht' op. 9, die 1923 in Dessau zur Uraufführung kam und deren Titel Weill bald in 'Quodlibet' op. 9 änderte. Auf Grundlage des Klavierauszugs entstand Ende der 1990er Jahre eine Rekonstruktion, die auch zur Aufführung kam und von der es eine Aufnahme mit Kölner Kräften gibt.
2005 entdeckte man dann an der Yale University in einem vergessenen Tresor in der Bibliothek das Originalmaterial, das nun der Erstaufnahme der Originalfassung mit dem Arte Ensemble zugrunde liegt. Leider fehlt dem Beiheft eine Handlungsangabe; lediglich Hinweise lassen erschließen, dass eine Fee nächtens Spielzeug in einem Kinderzimmer zum Leben erweckt. Das erinnert natürlich an Maurice Ravels Einakter 'L’enfant et les sortilèges' (der allerdings erst 1925 uraufgeführt wurde) und ein bisschen auch an Josef Bayers Ballettklassiker 'Die Puppenfee' (1888).
Tatsächlich beginnt Weills 'Zaubernacht' mit einem Mädchen und einem Jungen, die einschlafen. Eine Fee erweckt darauf mit einem Lied um Mitternacht Spielzeug und Märchenfiguren zum Leben (mit Weills Song-Stil hat das freilich noch nichts zu tun). Die beiden Kinder werden Teil des nächtlichen Geschehens, bei dem zum Beispiel H.C. Andersens Zinnsoldat dabei hilft, Hänsel und Gretel zu retten. Am Ende wird die böse Märchenhexe von allen gejagt. Als die Fee verschwindet, fallen die Kinder wieder in ihren Schlaf zurück, ihre Mutter kommt ins Zimmer uns sieht nach ihnen. So jedenfalls liest sich die knappe Zusammenfassung, die David Drews 1987 in seinem ‚Weill Handbook’ ohne Kenntnis des erst später gefundenen Materials gab. Nun ist es schwer, der leitmotivgesättigten Partitur, die offensichtlich sehr illustrativ angelegt ist, in ihren 25 Einzelabschnitten zu folgen, wenn man die Handlung nicht verfolgen kann. Und so ist die Wirkung dieser Aufnahme leider begrenzt, fehlt doch eine entscheidende Komponente für das Verständnis der Komposition.
Was bleibt, ist also eine jener typischen kleinteiligen Kompositionen für Kammerensemble, die in den Zwanziger Jahre häufiger anzutreffen sind. Und so klingt es denn immer wieder auch nach diesen Vorbildern: Hindemiths Erste Kammermusik, Schrekers Tanzmusik, Einflüsse der französischen Gruppe Les Six, aber auch Mahler und Busoni lugen hervor. Nur gelegentlich hört man schon den frechen Kurt Weill, der sechs Jahre später mit der 'Dreigroschenoper' einen Sensationserfolg haben wird. Trotzdem, die Partitur wirkt stilistisch geschlossen und hat – vor allem mit den beiden Märschen und Walzern, aber auch einem Foxtrot – Eingängiges zu bieten.
Im warmen, räumlichen Klang der Aufnahme hört man diese Musik gerne an, zumal die aus Solisten der NDR Radiophilharmonie stammenden Instrumentalisten die Partitur mit merklichem Einfühlungsvermögen angehen und in ihren vielfältigen Solopassagen ebenso zu überzeugen wissen wie in den diversen Mischungen der Farben, die aus den von Weill geschickt inszenierten ungewöhnlichen Instrumentenkombinationen entstehen. Die Motive sind klar herausgearbeitet, vieles klingt plastisch und die beständigen Tempo- und Rhythmuswechsel sorgen für die nötige Lebhaftigkeit. Der theatrale Moment, der auch spontanes Reagieren beinhaltet, fehlt freilich. Dennoch ist es eine idiomatische Interpretation, die Vergnügen bereitet. Lediglich die beiden Lieder der Fee fallen etwas ab. Ania Vegry ist nur schwer verständlich und forciert ihren leichten Sopran zu sehr; das ist wenig feenhaft. Insgesamt ist diese Veröffentlichung aber eine wichtige Ergänzung zum frühen Weill’schen Oeuvre und der Musik Berlins in den Zwanziger Jahren.
Frank Fechter