Die Familie Bach/ Musik, die Geschichten erzählt
Hannoversche Allgemeine Zeitung 19. März 2004: Wie man die Musik am Leben hält
Für den Pianisten Gerrit Zitterbart sind Kinderkonzerte Zukunftsmusik – jetzt präsentiert er auch CDs für Heranwachsende
Vielleicht nimmt es Gerrit Zitterbart mit den historischen Vorbildern
gar zu genau. Das Schlechteste freilich wäre es nicht für jemanden, der
stets authentischen Klängen auf der Spur ist. Und alles ertragen kann,
nur keinen Stillstand. Der Göttinger Pianist Gerrit Zitterbart hat
deshalb schon einiges ausprobiert – als Solist, mit seinem Abegg Trio,
in der Kammermusik. »Es ist wahnsinnig aufregend, Komponisten neu zu
entdecken«, findet er.
Mitte der neunziger Jahre hat Zitterart seine Lust an Kinderkonzerten
entdeckt. Seitdem hat der Professor der hannoverschen Musikhochschule
etliche Programme ausgearbeitet, mit denen er vor allem Heranwachsende
erreichen will. »Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?« etwa heißt es da
oder »Wie das Klavier klingt«. Nun legt Zitterbart in der »Edition
Ohrwurm« zwei dieser Programme auf CD vor. »Die Familie Bach« und
»Musik, die Geschichten erzählt« sind just erschienen.
Seine Voraussetzungen abseits der Klaviatur scheinen ideal: Der
52-Jährige hat sechs Kinder und ist bereits fünfmal Großvater. Er weiß
offenbar wie »innovativ man sein muss, um junge Hörerschichten zu
begeistern«. Mehr noch: »Als Musiker musst du dir heute Gedanken
machen, wie du die Musik am Leben erhältst.« Und irgendwie klingt das
glaubwürdig. Noch eine CD auf den Markt zu bringen jedenfalls kann die
Motivation nicht sein bei einem, dessen Diskographie inzwischen die
fortlaufende Nummer 50 anpeilt.
In Sachen Nachwuchs könnte sich Gerrit Zitterbart tatsächlich den alten
Bach zum Vorbild genommen haben: »Er hatte, stell' dir das mal vor, 20
Kinder. Denen hat er selbst Klavierstunden gegeben. Wie praktisch, da
brauchte man gar keinen anderen Lehrer. Und die Übungsstücke hat Papa
Bach gleich selbst komponiert.« So klingt eine Textpassage von der
ebenso unterhaltsamen wie lehrreichen CD »Die Familie Bach«. Zitterbart
will alles andere als belehrend sein: »Ich komme zu den Kindern ins
Kinderzimmer. Natürlich! Aber nicht als Marktschreier. Auch nicht als
Märchenonkel.« Und als Oberschlauberger schon gar nicht.
Zitterbart erzählt im Plauderton, wie Johann Sebastian seine Stücke
erfunden hat, dass es ein Klavier eigentlich gar nicht gab damals,
sondern ein Cembalo, das Clavichord und später, bei seinen Söhnen, den
Hammerflügel. Er stellt Kompositionen der gesamten Familie vor, spielt
sie mal auf diesem, mal auf jenem Tasteninstrument. Manchmal auch auf
beiden, nacheinander natürlich. Das macht Spaß. Auch weil Zitterbart
keineswegs mal eben »für Kinder« spielt, sondern so, als säße er im
Konzertsaal. Etwas lernen können hier auch ausgewachsene Tastenkünstler.
»Musik, die Geschichten erzählt« ist die zweite CD und ein spannender
Ausflug in die Musikgeschichte von Bach bis Hindemith – mit kurzen
Abstechern Richtung »Kleines Einmaleins der Musiktheorie«. »Mal gucken,
wie das läuft«, sagt Gerrit Zitterbart. Falls es läuft, will er
nachlegen, vielleicht mit einem modernen Programm. Falls nicht, hat er
noch viele andere Sachen im Kopf, die unbedingt in die Finger wollen.
Hauptsache, kein Stillstand.
Gert Deppe
Piano News April 2004: Zitterbart erklärt Klaviere und deren Musik für Kinder
Alle
Welt klagt, dass es bergab mit der Kultur, dass die Konzertsäle nur
mehr von einem überalterten Publikum besucht würden, dass der hörende
Nachwuchs fehlt. Doch nur wenige derjenigen, die da klagen, machen sich
Gedanken darüber, wie sie die Kinder und Jugendlichen an die Musik
heran führen, also in der bestehenden Situation Abhilfe schaffen.
Ein Gegenbeispiel liefert der Pianist Gerrit Zitterbart. Zitterbart,
der sich neben seiner solistischen Tätigkeit vor allem als Gründer und
Pianist des Abegg Trios einen Namen gemacht hat und seit 1981 an der
Hochschule für Musik und Theater in Hannover unterrichtet, führt schon
seit vielen Jahren Kinderkonzerte durch. Hier spielt und erläutert er
die Musik, die unterschiedlichen historischen Instrumente, die er
spielt. Um diese interaktiven Erlebnisse der Bühne nun auch einem
größeren Publikum zugänglich zu machen, hat Zitterbart zwei »Programme«
auf CD gebannt. Die eigens dafür gegründete Edition Ohrwurm verzeichnet
zum einen »Die Familie Bach« und zum anderen »Musik, die Geschichten
erzählt«.
Bei der Familie Bach geht es um Johann Sebastian, um dessen Söhne, die
ebenfalls komponierten. Aber in kindgerecht aufbereiteten Sprechtexten
erzählt Zitterbart den jungen Zuhörern auch etwas über das Leben der
Familie Bach. Doch das Geniale: Man erfährt einen direkten Vergleich
zwischen den Instrumenten, die man heute im Konzertsaal gemeinhin hört,
dem Konzertflügel, aber auch den Instrumenten, die Bach und seine Söhne
als Tasteninstrumente nutzten: Clavichord, Cembalo und Hammerflügel.
Auf diese Weise bekommt man einen lockeren Einblick in die klanglichen
Unterschiede, die direkt nebeneinander gestellt von Zitterbart
bestechend gut gespielt werden. Eingebettet in den historischen
Zusammenhang, wann und für wen die gespielten »Inventionen« Johann
Sebastians geschrieben wurden, ist diese Art der Darstellung nicht nur
für Kinder, sondern auch für Erwachsene Zuhörer durchweg interessant.
Und es geht weiter durch die Geschichte der Bach-Familie, hin zu Carl
Philipp Emanuel, Johann Bernard, Wilhelm Friedemann, Johann Christoph
Friedrich und Johann Christian Bach. Dabei »spielt« Zitterbart auch mit
Überraschungen für die Kinder, spielt, stellt Fragen, die erst nach dem
Zuhören aufgelöst werden. Auf diese Weise bleibt das Gehörte auch
besser im Gedächtnis. Zudem ist es wichtig, dass der Interpret, der da
spielt, auch selbst erzählt: Das schafft auch bei den Kindern
Vertrauen, denn nur der, der das spielen kann, kann auch richtig
darüber erzählen.
Ein ähnliches Konzept hat sich Gerrit Zitterbart für die CD »Musik, die
Geschichten erzählt« ausgedacht. Auch hier sind die unterschiedlichen
Instrumente jeweils im Zusammenhang mit der Zeit zu hören, doch geht es
hier quer durch die Musik der Klaviergeschichte, angefangen bei Bach,
über Leopold Mozart, hin zu dessen Sohn Wolfgang Amadé, weiter über
Schubert, Chopin bis hin zu Bartók oder Hindemith. Zitterbart verquickt
geschickt Geschichte und Geschichten, so dass auch Rameau und Louis
Claude Daquin vorkommen. Dass Klavierkomponisten-Größen wie Schumann,
Debussy und Beethoven da nicht fehlen dürfen, versteht sich fast von
selbst.
Zitterbart spielt auf hohem Niveau, ein Umstand, der gerade bei dem
Spiel für Kinder extrem wichtig ist. Denn der erste Eindruck
entscheidet – und Kinder sind ein gnadenloses Publikum. Doch mit seiner
Konzeption hat Zitterbart es geschafft, genau dieses Publikum
anzusprechen und zu begeistern: Denn, wenn nun ein Kind im Konzert ein
Klavierstück hört, weiß es etwas damit anzufangen, weiß eine Geschichte
zu dem Komponisten. Und das ist der Anfang der Begeisterung für diese
Art von Musik.
Carsten Dürer