Chopin Balladen, Sonate, Nocturnes
Mit den vier
Balladen, mit der h-Moll-Sonate und sozusagen als Zugaben mit drei
der 21 Nocturnes bietet der Pianist Gerrit Zitterbart ein technisch,
gedanklich und emotional anspruchsvolles Chopin-Programm. Die
gutingi-Einspielung aus dem Jahr 1991 – produziert in der
Frankfurter Festeburgkirche – zeigt den Interpreten auf gutem,
bisweilen hohen Niveau der Werk- und Passagendefinition. Zitterbart
ist im Vergleich zu den führenden, anerkannten, aber auch immer
wieder heftig diskutierten Chopin-Spielern kein Zauberer, eher ein
Realist des vorbereiteten Tonfalls, generell ein kluger Übersetzer
seiner pianistischen Möglichkeiten. Unter diesen Umständen fügen
sich die Bausteine der vier Balladen zu einem geregelten Ganzen –
ohne Extreme in den beschleunigten Passagen etwa der g-Moll-Ballade
oder am Ende der f-Moll-Besonderheit (op. 52). Es handelt sich um die
Lesart, um das ehrliche Bekenntnis eines Musikers, der „seinen“
Chopin studiert hat, der sich dem Material gewachsen zeigt, in
einigen Details auch eine eigene Meinung zur Diskussion stellt wie
etwa in den wogenden Finalpassagen der As-Dur-Ballade (op. 47).
Oft genug
wird die Eröffnung der Sonate op. 58 unbeherrscht, ja mehr noch: in
ihren gekreuzten, hoch erregten Linienführungen bis zur
Unkenntlichkeit herauskatapultiert. Zitterbart behält die Übersicht,
entfaltet das gleichsam vielzüngige Geschehen mit der sparsam
erregten Gelassenheit eines pragmatisierten Chopin-Professors.
Vergleichsweise wenig behende gelingt ihm das Scherzo. In diesem
Bereich der reinen, der offensichtlichen Fingergelenkigkeit sind ihm
viele Kollegen überlegen. Zum Glück für Zitterbart ist dieses
flinke, von einem nachdenklichen Mitteilteil sozusagen abgebremste
Scherzo nur eine musikalische Fußnote.
Im Largo
erweist sich seine färbende und konturierende Beharrlichkeit als
akzeptables Projekt einer Chopin-Übermittlung, die sich eher dem
greifbaren Vordergrund, weniger dem Mysteriösen, dem Zwischentönigen
verpflichtet fühlt. Dies gilt – wie ich meine – auch für
Zitterbarts Wiedergabe der drei Nocturnes, die im Programm dieser
Einspielung zwischen den vier Balladen platziert wurden.
Die
gutingi-Edition ist sparsam konzipiert: der Hüllenkarton enthält
eine CD, aber keine Begleitinformationen im Sinne von Werkeinführung
und Künstlerbiografie. Wie so oft, wenn man Produzenten auf diesen
Mangel anspricht, wird man auf die Möglichkeiten des Internets
verwiesen – und natürlich auch auf andere
Chopin-Veröffentlichungen mit ähnlichem Programm…
Klassik heute Februar
2011, Peter Cossé
Eine gelungene Chopin-Mischung: jeweils vier Nocturnes und Balladen im Wechsel, gefolgt von der h-Moll-Sonate. Pianistisch ansprechend, klanglich differenziert, wenn auch in den hochvirtuosen Passagen die mechanische Komponente des Spiels gegenüber der musikalischen überwiegt, stellt Gerrit Zitterbart den verträumten romantischen Melodiker in den Vordergrund.
FonoForum Dezember 1992