Beethoven Klaviersonaten
1989 spielte
der Pianist Gerrit Zitterbart im „religiösen“ Studio der
Frankfurter Festeburgkirche drei Beethoven-Sonaten. Im Vergleich zu
seinen in jenen Jahren aufgezeichneten Chopin- und
Mozart-Interpretationen (gutingi 105, 106 und 103 / Mozart) bewegt
sich dieser – wie mir scheint – grundehrliche Künstler auf dem
Beethoven-Terrain um einiges sicherer als in der Umgebung etwa der
Chopin-Aufgaben, gar nicht erst groß zu reden von seinen
lakonischen, wie unbetroffenen Übermittlungen der langsamen
Mozart-Sätze. Ich wage zu diagnostizieren, dass die Beethovenschen
Charaktere, die Varianten seiner Sonaten-Gefüge diesem Pianisten vom
Temperament her, von der Art des Lesens und des Umsetzens näher
liegen als etwa eine Chopin-Nocturne. Das heißt ja nicht, dass ein
Interpret die „andere“ Literatur nicht schätzt, ja liebt, aber
er findet auf diesem Feld nicht jene Sprache, die dem – weitgehend
informierten, ja verwöhnten – Hörer eine neue, ureigene Dimension
der Werkaufschlüsselung vermitteln könnte.
Einprägsam
in allen motivischen, vor allem aber in den durchführenden
Erregungen gelingt Zitterbart der trotz aller Unruhe doch
übersichtlich konzipierte Kopfsatz der D-Dur-Sonate (op. 10,3). Man
gewinnt den Eindruck, Zitterbart zeige uns gleichsam als pädagogisch
entflammter Musiker, wo etwas beginnt, wo etwas abgeschlossen ist und
warum es im nächsten Augenblick weitergeht. Mit anderen Worten: die
raschen Sätze der drei hier eingespielten Sonaten bezeugen seinen
Sinn für Struktur im Großen und für die im Detail platzierten
Einzelbausteine eines Satzes. Mehr „Espressivo“, vielleicht auch
eine stärkere Hervorhebung der linken Hand im Initialverlauf des
langsamen Satz der D-Dur-Sonate würde den getragenen, stark
verhaltenen Mustern dieses musikalischen Verlaufs mehr Kontur, mehr
„Meinung“ verleihen. Ich sage das unter dem Eindruck der
legendären Glenn Gould-Einspielung (CBS, später Sony). Dort gewinnt
die Unterstimme ein forderndes, ebenso irritierendes wie Glück
bringendes Eigenleben. Mit anderen Worten: Gould zwingt den Hörer,
sich mit ihm wie in einer komponierten Räumlichkeit neu umzuhören.
Auf
unauffällig hohem Niveau erkundet Zitterbart die stockenden und
flotten Passagen der „Sturm“-Sonate – mit überzeugendem Gespür
für ein gewisses Beethoven-Aroma im Anschlag und für den
Gesamtklang im Sinne gewachsener, in der Ausbildung inhalierter und
dementsprechend fortgeführter Tradition.
Die Allegro
con brio-Vorschrift der „Waldstein“-Eröffnung nimmt Zitterbart
wörtlich. Flott, drängend macht er sich über das zunächst
einförmige, pochende Themen-Material her, um sich im Folgenden mit
klarem Kopf und sozusagen gut geölten Fingern allen Anforderungen
gewachsen zu zeigen. Dies gilt auch für den Finalsatz mit dem
abschließenden Prestissimo. So ist von einer Beethoven-Präsentation
zu berichten, die im riesigen Angebot einen guten Platz im vorderen
Drittel der mir bekannten Einspielungen einnimmt. Und jedem zu
empfehlen ist, der über die drei Sonaten verlässlich Erkundungen
anzustellen gedenkt.
Die Edition
– eingepackt mit umweltfreundlicher Papphülle – enthält kein
Begleitheft.
Klassik heute Februar
2011, Peter Cossé
Der Pianist der
nächsten Aufnahme hat sich seinen Einführungstext für drei
Beethoven-Klaviersonaten selbst geschrieben. Übrigens mit kluger Feder.
Sein Beethovenspiel macht einen hervorragenden Eindruck. Der
Bösendorfer Imperial, der tatsächlich wunderbar klingt und in einem
Kirchenraum aus relativ großer Entfernung von den Mikrofonen postiert
ist, wird hier von einem Pianisten gespielt, dessen Klangsinn von einem
ausgeprägten Formgefühl ergänzt wird. Nicht allein Beethovens frühe
große D-Dur Sonate, sondern »Sturm-« und »Waldsteinsonate« werden von
Gerrit Zitterbart mit starkem architektonischen Sinn für die Baugesetze
der Beethovenschen Sonatenform dargeboten, souverän phrasiert, jedoch
auch mit unmißverständlichem emotionalen Engagement, mit Feuer und
Temperament. Alle dynamischen Gewaltzeichen von Beethovens unbändigem
musikalischen Furor werden penibel umgesetzt, und Zitterbart hat eine
heute immer seltener werdende Eigenschaft, die jedem Musizieren
zugrunde liegen muß: Ruhe, Geduld für Langsamkeit, Konzentration auf
musikalische Pausen oder Stillstände. Hinzu kommt eine unveränderlich
ruhige Atemführung, rhythmisch klar konturierte Durchzeichnung der
Verläufe, Deutlichkeit in allen Stimmführungsdetails.
Hessischer Rundfunk Das Schallplattenkonzert September 1990
Gerrit Zitterbart, lange »nur« als Flügelmann des Abegg-Trios bekannt, hat sich bestens auf die drei so populären wie anspruchsvollen Sonaten vorbereitet.
Seine akrobatisch gelenkigen Finger machen den schnellen Sätzen Beine
und selbst da, wo sie ein wenig hektisch und übertourt wirken, zaubert
der Professor aus Hannover noch so viele Zwischentöne in die Musik, daß
sie immer einleuchtend und spannungsvoll bleibt.
Sehr gut fingen die Tacet-Techniker den Klang eines herrlichen Bösendorfer-Flügels ein.
Audio November 1990
Die
Klaviersonaten Ludwig van Beethovens, deren konzentrierte Faktur
Vorbild für die Klaviermusik des 19. Jahrhunderts wurde, sind schon von
unendlich vielen Pianisten plattenproduziert worden. Wenn nun ein
Pianist, den man vorwiegend als Kammermusiker kennt und schätzt, sich
als Solo-Interpret ausgerechnet an Beethoven heranmacht, so mag
sich vorweg Skepsis einstellen. Aber Gerrit Zitterbart, Pianist des
Abegg Trios, überzeugt die Skeptiker durch sein geistreich
phrasierendes Spiel, durch die intelligente Gliederung und farbige
Charakterisierung einzelner Formteile und durch die Fähigkeit, an diese vielgespielten Sonaten doch mit einem erfrischenden Maß von Unbefangenheit heranzugehen.
Radio Bremen Klassik-Diskothek Oktober 1990
Die sorgfältig betreuten Veröffentlichungen des Stuttgarter Labels
Tacet verdienen Aufmerksamkeit. Die Beethoven-Sonaten-Aufnahmen mit dem
1952 geborenen Hannoveraner Pianisten Gerrit Zitterbart gehören zum
Profundesten, was auf diesem Gebiet in letzter Zeit herausgebracht
wurde. Geradezu elektrisierend das Klangbild. Es wurde nicht
»künstlich« aufgehellt, also zu denaturiert-klirrenden, vermeintlich
brillanten »Spitzen« hingelenkt, sondern sozusagen gewichtig
fundamentiert in sonoren Baß- und Mittelbereichen. Damit entsprach man
aufs schönste der Klangspezifik des von Zitterbart benutzten
Bösendorfer Imperial-Flügels, eines wahrhaft majestätischen Instruments
mit voll-panoramischer Klangperspektivik. Es kann keine Rede von einem
mattierten, schwimmenden, verschleierten Klangcharakter sein – auch
ausgepichte strukturell-analytische Hörer werden nicht enttäuscht.
Zitterbart kann schon nach diesem Eindruck zu den begabtesten
Beethovenspielern seiner Generation gezählt werden. Bewundernswert die
Durchsichtigkeit der Diktion, wobei der nur behutsam modifizierten
Motorik kein einziger Gegenakzent geopfert und jede lyrische Linie
»quasi a tempo« zu voller Blüte gebracht wird. Wie durchdacht
Zitterbart spielt, bemerkt man z.B. in den Rezitativabschnitten des
»Sturm«-Kopfsatzes, die mutig in einen Pedalschleier gehüllt werden.
Als »Vorhang« zum Verdecken heikler Passagen dient das Pedal dagegen
nie.
Frankfurter Rundschau September 1990