»What about this, Mr. Clementi?«
Daß
Gerrit Zitterbart ein exzellenter Pianist ist, kann man auf Platten und
bei Auftritten des Abegg Trios hören. Doch auch als Solist vermag er zu
überzeugen, wie seine jüngste CD beweist. Zunächst aber verdient die
Konzeption dieses Récitals Aufmerksamkeit: Der Pianist stellt nämlich
nicht nur Kompositionen unseres Jahrhunderts, sondern auch fünf
verschiedene Flügel einander gegenüber. So hat er die Stücke Boris
Blachers mit allen Instrumenten eingespielt und für die anderen Werke
jeweils den Flügel gewählt, der ihm passend erschien.
Hierbei
fasziniert der indirekte Vergleich deutlich stärker als der direkte,
denn die Blacher-Piecen entlocken eigentlich nur dem Bösendorfer-Modell
ein eigenständiges Klangprofil. Beeindruckend zu hören sind dann aber –
bei gleichbleibend hohem interpretatorischen Niveau – die individuellen
Eigenschaften der Instrumente im weiteren Programm: die Opulenz des
Fazioli für die gegen Ende emphatisch ausufernde Scriabin-Sonate, die
brillante Präzision des Steinway in den stilisierten
Unterhaltungsstücken Strawinskys und die Vielfalt von Obertönen und
Nachschwingungen des Bechstein für Stockhausens Klangvisionen.
Lediglich den Yamaha bringt Zitterbart nicht so zum Leuchten, wie es
der »isle joyeuse« angemessen wäre.
Als ideal ist sicherlich das Gespann Berg-Bösendorfer anzusehen. Nicht
nur, daß der Komponist einen Flügel aus dem selben Hause spielte, der
dunkel timbrierte, auch im Diskant noch weiche, singende Ton entspricht
Bergs op. l vollkommen, und Zitterbart unterstreicht dies durch eine
gleichsam zurückblickende Interpretation, die sich in ihrer Agogik
stets durch Bergs Angaben abgesichert weiß.
Neue Musikzeitung April/Mai 1994
Friedlicher Wettstreit der stahlbesaiteten Diven:
Fünf Flügel geben sich ein Stelldichein in der Frankfurter Festeburgkirche
Die starken Männer vom Transportunternehmen wollen ihren Augen nicht
recht trauen. Die bereits vorhandenen vier Flügel müßten doch
eigentlich genügen. Selbst Johann Sebastian Bach hat sich bei seinen
Konzerten mit vier Cembali zufriedengegeben. Ob die Herren hier wohl
richtig sind? Sie liefern erst noch den eigenwilligsten Star, den über
drei Meter langen Fazioli-Flügel. Glänzend in edlem Schwarz, mit
blankgeputzter Tastatur und aufgespreizten »Flügeln« sind die
Instrumente prachtvoll anzusehen. Sie gleichen Diven, die ehrgeizig,
doch äußerlich gelassen auf ihren großen Auftritt warten. Die
Mitstreiter hören auf die Nobelnamen Bösendorfer, Bechstein, Yamaha,
Steinway. Der Pianist Gerrit Zitterbart und der Tonmeister Andreas
Spreer engagierten sie, um sie in der Frankfurter Festeburgkirche im
direkten Vergleich bei Tonbandaufnahmen für eine CD testen zu konnen.
Daß die Instrumente ihre eigene Persönlichkeit sowohl im Klang als auch
in der technischen Handhabung besitzen, ist offenkundig, dem
Konzertbesucher aber kaum bewußt. Wer macht sich schon Gedanken
darüber, ob für die perlende Bach-Toccata zu Beginn eines Konzertes das
gleiche Instrument das geeignete ist wie für die folgende
leidenschaftliche Beethoven-Sonate oder das schwärmerische
Chopin-Prelude. Zwar haben die monströsen Persönlichkeiten schon rein
äußerlich je einen eigenen Charakter, und die Klavierbaumeister
sprechen auch gern von unterschiedlicher »Schall-Leitfähigkeit«, vom
»Biegemoment« der diversen Hölzer und der »Hammerkopfbespannung«,
weisen darauf hin, daß die Tasten nicht mehr aus Elefantenzähnen
hergestellt werden, sondern aus anderen Materialien, darunter so
profane Ersatzstoffe wie Rinderhüftknochen. Doch bei der Klavierparade
geht es einzig um das unterschiedliche Klangbild, um fünf tönende
Porträts. Dabei sollen sich die Flügel nicht gegenseitig ausstechen
oder »überflügeln«, jedes Instrument soll vielmehr in dem ihm gemäßen
Lichte erstrahlen. Dabei zeigt sich, welche Bedeutung trotz eines
unwandelbaren Klangcharakters die jeweilige »Einstellung« durch den
Stimmer haben kann. Der Pianist Zitterbart, 1952 in Göttingen geboren,
hat zu diesem Zweck ein sehr feinsinniges, abwechslungsreiches Programm
mit Werken des 20. Jahrhunderts entworfen, »die von sehr ausgeprägter
Individualität sind«: Debussys »L‘isle joyeuse« (erschienen 1904),
Skrjabins Sonate Nr.4 (1905), Alban Bergs Sonate op. 1 (1907)
Strawinskys »Drei Stücke« (Tango, Ragtime, Zirkuspolka) aus den Jahren
1919, 1940 und 1942, Boris Blachers »Trois Preludes« von 1943 mit dem
Untertitel »What about this, Mr. Clementi?« und Stockhausens
Klavierstück Nr. 9 aus dem Jahre 1961. Mit diesen Werken sei die
musikalische Entwicklung der ersten 60 Jahre des Jahrhunderts
abgedeckt, meint Zitterbart. Die zunächst für den Bechstein-Flügel
vorgesehene »Ile joyeuse« spielt Zitterbart dann doch auf dem sich
überraschend weich und gleichzeitig transparent gebenden Yamaha, was
den Arpeggien, dem luftigen Säuseln ebenso zugute kommt wie den
»aufgepeitschten« Akkorden. Stockhausens Komposition dagegen läßt sich
offenbar auf dem Bechstein-Flügel am besten präsentieren, die Cluster
scheinen sich in sphärisches Flirren aufzulösen, durch Pedaleffekte in
unendlichen Fernen fortzuspinnen. Bergs zu expressiven
Emotionsausbrüchen gesteigerte Sonate erklingt auf dem brillanten und
»anschmiegsamen« Bösendorfer. Die Strawinsky-Rhythmen spielt Zitterbart
auf dem Steinway. Für das breite Klangspektrum der Skrjabin-Sonate mit
ihrem irisierend schwebenden, körperlosen Beginn wählt er den Fazioli;
»der Flügel singt«, meint er. Trotz aller Klangpracht gerade dieses
Instruments gelingt es ihm, auch Klänge von gläserner Klarheit und
koboldhaftem Huschen zu entlocken, das Akkorddickicht zeigt selbst bei
teuflischem Tempo keine Härten. Blachers jazzig angehauchtes Werk wird
auf allen fünf Instrumenten gespielt, wobei die unterschiedlichen
Klangcharakteristika am klarsten hervortreten. Für die Aufnahme hat der
in Detmold ausgebildete, in Stuttgart ansässige Tonmeister Andreas
Spreer Mikrophone ausgewählt, die eine neutrale Abbildung des Klanges
gewährleisten. Die fertige CD, die er unter seinem eigenen Label
»Tacet« herausbringen will, dürfte nicht nur Berufsmusikern,
Audiophilen und Technikfreaks wertvolle Informationen liefern, neben
dem puren Vergleich der Instrumente wird sie auch den Musikliebhabern
ein überaus reizvolles Programm in kompetenter Wiedergabe bieten. Zu
Spreers Arbeitsweise gehört es, zwar mit hochwertigem Gerät, doch
insgesamt mit möglichst geringem technischem Aufwand Werken und
Interpreten viel Raum zur Entfaltung zu lassen. Die stahlbesaiteten
Diven werden es ihm zu danken wissen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung März 1993
Organisten und Geigern sind auf Schallplatten Vergleiche verschiedener
Instrumentarien nicht unbekannt. Die speziellen Möglichkeiten des
Mediums erhöhen die Chancen, sich unter dem Eindruck verschiedener
Klangcharaktere ein Urteil zu bilden. Tacet-Produzent Andreas Spreer
und Gerrit Zitterbart, einer seiner Hauspianisten, sind mit dieser
musikdidaktischen Publikation jedoch über ein programmatisches und
instrumentales Nebeneinander hinausgegangen. Nur die im »Hauptteil« auf
fünf Flügeln der Marken Yamaha (Debussy), Steinway (Strawinsky),
Fazioli (Scriabin), Bösendorfer (Berg) und Bechstein (Stockhausen)
gespielten Kompositionen repräsentieren den Normalfall einer
wohlüberlegten Ausrüstungsvielfalt. Vorangestellt werden nämlich – und
das ist der Clou der Platte! – in fünf Darstellungen die drei winzigen
Klavierstücke von Boris Blacher aus dem Jahr 1947. Jazz-Elemente,
angedeutetes kontrapunktisches Stirnrunzeln und eine Prise Sinnlichkeit
sichern hier auf engstem Raum die Grundlage für einen an Nuancen
interessierten Hörer, die Eigenheiten der fünf Instrumente anhand einer
Satzfolge noch genauer ins Visier zu nehmen.
FonoForum April 1994